Der Bundesgerichtshof hat mit einem Urteil die Rechte von Kundinnen und Kunden einer privaten Unfallversicherung gestärkt. Ist ein Tagegeld vereinbart, so endet der „Abschluss der Behandlung“ nicht mit dem letzten Arztbesuch, wenn der Mediziner im Anschluss Krankengymnastik oder eine andere Maßnahme verschreibt. Die Zeit dieser Therapien müsse auch berücksichtigt werden (Urteil vom 04. November 2020, IV ZR 19/19).
Wer eine private Unfallversicherung abschließt, kann in bestimmten Tarifen auch ein Tagegeld vereinbaren. Der Versicherer zahlt dann in der Regel einen vorher vereinbarten Betrag pro Tag aus, wenn ein Unfall dazu führt, dass er nicht arbeiten kann – oft zeitlich limitiert auf eine Höchstgrenze, zum Beispiel für maximal ein Jahr.
Ein solches Tagegeld war auch Streitgegenstand in einem aktuellen Fall, über den der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden musste. Geklagt hatte ein Mann aus Bayern, der sich im April 2016 den Finger verletzt hatte und deshalb fast zwei Monate im Job ausfiel. Laut Vertragsbedingungen musste der Versicherer zahlen, wenn der Verunfallte „in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt und in ärztlicher Behandlung“ ist.
Was aber bedeutet „in ärztlicher Behandlung“, wie es die Vertragsklausel formulierte? Hierüber bestanden verschiedene Auffassungen. Der Unfallversicherer wollte nur bis zu dem Zeitpunkt das Tagegeld erstatten, zu dem letztmalig der Versicherte einen Arzt aufgesucht hatte: Das war am 16. Juli 2016 der Fall. Der Mann aber wollte für weitere Wochen die vereinbarte Summe ausgezahlt bekommen: In der Zeit hatte er nach eigener Aussage Krankengymnastik wahrgenommen, die ihm der Arzt beim letzten Termin verschrieben hatte.
Die Begründung des Versicherers, weshalb er sich quer stellte: Die versicherte „Ärztliche Behandlung“ meine laut der Allgemeinen Unfallbedingungen (AUB) tatsächlich die Behandlung durch einen Arzt – nicht aber solche etwa durch Heilpraktiker oder durch Masseure.
Auf Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers abheben
Der verunfallte Arbeitnehmer zog schließlich vor Gericht – und musste vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) noch eine Niederlage einstecken. Nicht so vor dem obersten Zivilgericht, das zu seinen Gunsten entschied: Der Bundesgerichtshof kippte das Urteil der Vorinstanz und gab dem Mann Recht.
“Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht“, schreibt der BGH im Urteil. Dabei sei auf ein Verständnis ohne versicherungstechnische Spezialkenntnisse abzuheben.
“Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird die Dauer solcher von der ärztlichen Fürsorge und Verantwortung umfasster Behandlungsmaßnahmen regelmäßig als Teil der ärztlichen Behandlung ansehen, und zwar unabhängig davon, ob sie möglicherweise nach dem letzten Arztbesuch erfolgen, ob Dritte bei ihrer Durchführung tätig werden und inwieweit der Arzt Maßnahmen selbst spezifiziert oder ihre konkrete Ausgestaltung einem Dritten überlassen hat“, heißt es weiter.
Der Versicherer muss also auch für die Zeit der Krankengymnastik zahlen – denn eine ärztliche Behandlung umfasse „regelmäßig die Dauer der vom Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen“. Das stärkt die Verbraucherrechte. Allerdings muss im konkreten Fall der Kläger noch nachweisen, dass er auch tatsächlich die Gymnastik in Anspruch genommen hat.